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Work Song

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Es gibt viele Jobs die das Trinken fördern, oder erfordern – erlauben tun es natürlich nur wenige. Manche dagegen erzwingen es geradezu, im besten Falle von oben verordnet.

Wenn Chef mit Heute müssen wir saufen! grüßt, dann ist das eine Weisung. Jeder, der einmal in der Gastronomie gearbeitet hat weiß, dass der Schrecken nicht im Stress oder der Masse an Arbeit liegt, sondern im Detail. Insbesondere in einem auf besondere Essgewohnheiten spezialisierten Laden. Da hülfe auch kein Betriebsrat.

Stammtisch – die wenigen Assoziationen reichen aus für fischfeuchte Finger und einen starken Migränepochimpuls hinterm rechten Auge. Wodka. Chef gießt ein. Er hat natürlich schon vorgelegt, es gab schließlich schon eine Frühschicht, Vorbereitungen für den angekündigten Spezialistenbesuch, für’s gesamte Wochenendmenü. Mit der zweiten Köchin unlängst verkracht, macht er heute – wie fast alle Wochenenden to come – Doppelschicht. Schnippeln, Hacken, Vorkochen, Dünsten, Einlegen, die Rote Beete grummelt im Backofen langsam vor sich hin, matt glänzende Alu-Schalen sind mit schmatziger Burgermasse und lachenden Kartoffelecken vollgestopft, es riecht nach angebratenen Frühlingszwiebeln und Koriander. Überall dunkle Kleckse von klebrigem Agavendicksaft. Die Absolut-Flasche war gestern Abend mindestens vier Finger breiter gefüllt. Frühschicht. Vorbereitung.

Ist da überall Zwiebel drin? Worst case. Es ist überall Zwiebel drin, Zwiebel, deren Strunk zerteilt wurde mit einer eiskalten, herzlosen, glatten Klinge, schärfer als jene, die die akkurat rasierten Schläfen entlang gefahren ist, schärfer als der manische Blick des Fruganers. Der Fruganer ist immer der Erste. Der Fruganer goutiert nur, was vom Baum gefallen ist, oder schon abgestorben war. Den Apfelsaft mag er nur naturtrüb, Bier entfällt, Hopfen und Malz können ja schlecht runtergeplumpst sein. Leitungswasser, dazu Nichts. Es ist überall Zwiebel drin. Der Fruganer zieht einen Katzenarsch-Mund, Chef gießt ein. Bei kläglichen fünf Euro Stundenlohn reicht oft auch die Sympathie für das Projekt nicht aus, um mit allem D’accord zu gehen. Aber Chef weiß das, daher ist die Erhöhung mittels hochprozentiger Zulagen ein unausgesprochenes Dankeschön, das aus tiefstem Herzen kommt. Beim ersten Stammtisch war damals nach veganer Musik verlangt worden. Diese Grenzüberschreitung konnte noch eingedämmt werden. Heute düdelt aus den hässlichen weißen Plastikboxen dezent ein Soundtrack zum Briefmarkensammeln. Scherz. Der Stammtisch fragt, ob die Lautsprecher auf ihrer Seite des Raumes runtergedreht werden können. Können sie.

Das Schlimmste ist der Übergang, der Übertreten von der warm-wohligen Chef-Schnaps-Welt in die grelle, laut zeternde Welt des Bestellungen-Aufnehmens, des nackten, den hungrig-gierig-unschlüssigen Stammtischlern und der eigenen übermannenden Intoleranz Ausgeliefertseins. Dreimal Spieße einmal ohne Zwiebeln es ist aber überall Zwiebel drin oh dann nur zwei oder doch drei ich kann das ja beiseite legen ja Schatz des esse ich dann und willst du noch einen Mangosaft ja danke und noch eine Karaffe Leitungswasser und gibt es eigentlich noch Kuchen ja aber nur noch zwei Stücke oh dann stellt mir doch bitte eines zur Seite oh toll.

Schlimmer sind nur Dates im Café, vor allem wenn es so leer ist, dass man von hinter der Bar jedes einzelne Wort mithören kann. Wer sich in auf spezielle Essgewohnheiten spezialisierten Lokalen datet, der redet gern über spezielle Essgewohnheiten. Wenn das Date gut läuft, reden beide gern über spezielle Essgewohnheiten, und Tiere. Chef gießt ein.

Dutzende bepackter Platten, heißer Schalen und überdimensionierte Teller wandern um die Ecke, über die Weltengrenze, und wieder zurück. Schwer atmende Münder schmatzen, kauen, wischen sich gegenseitig ab, atmen wieder schwer. Zwei Teller davon sind ein Monatslohn in Vietnam, aha. Die Lautsprecher werden unmerklich lauter.

Chef kann nicht mehr, Chef hat für kein Geld seit Wochen durchgeackert, sich seit acht Wochen nicht mehr gekämmt, letzte Nacht auf dem Sofa vor der Theke übernachtet, bis ihn Frühgäste geweckt haben. Die vorbestellten Teller sind alle raus, die wenigen Nicht-Stammtischler werden mit Burgermasse in nachgekauften nun-nicht-mehr-bio Burgerbrötchen abgespeist. Habt ihr die Musik bei uns wieder lauter gemacht? Und ach, kann ich hier Flyer hinlegen? Da hinten gehen die so unter zwischen den anderen…

Nachgießen, Nachgießen, Nachgießen. Die kernig-schleimige Burgermasse türmt sich aus der viel zu winzigen Schüssel wie ein Tofu-Zwiebel-Golem. Erhebe dich, Tofu-Golem, erhebe dich und löse das Welthungerproblem, erhebe dich und zerstampfe die Foodchains, erhebe dich und zermalme die Gen-Sojabohne, erhebe dich und sorge dafür, dass jedes Café mit einem EC-Lesegerät ausgestattet ist!

Chef ist inzwischen so weit, dass er auf seinem krepierenden Mac einen Bravo-Fotoroman aus dem Netz gefischt hat, der auf einer Tierrechtsdemo spielt, und beginnt, die Sprechblasen auf die jetzige Situation angepasst mit Nein, nichts mit Zwiebeln, Leitungswasser wird aber nicht gefiltert! und Oh, ich mag deine Frisur! zu versehen. Nach nur fünf Minuten liegt der sofort mit Schnapsglas-Abdrücken bestempelte Ausdruck hinterm Tresen, und wird mit verteilten Rollen vorgelesen. Einzig die baulichen Vorzüge der Räumlichkeit verhindern eine direkte Konfrontation des Wodka-schwangeren Theaters hinter der Bar mit den geschäftigen aber nüchternen Rittern der Tafelrunde um die Ecke. Der Leitungswassergral muss noch einmal aufgefüllt werden, dann darf die Rechnung kommen. Alle einzeln. Aus den Boxen dröhnt Cannonball Adderleys Work Song, der üppige Wodkalohn wird dafür sorgen, dass der Bläsersatz für mindestens den Rest der Nacht hinter der Stirn kleben bleibt.

Selbstausbeutung kann vieles mit einem machen – in die Scheiße reiten, zum Alkoholismus anstiften, in Sinnkrisen stürzen. Im Idealfall kann sie sogar Spaß machen, zumindest Aspekte davon. Sie fördert ganz sicher einen resignierten Zynismus, den man eigentlich gern ablegen möchte, sofern man nicht irgendwann als komplettes Arschloch aufwachen möchte. Chef hat ca. ein Jahr später Privatinsolvenz angemeldet. Der Stammtisch zieht weiter. Manchmal wird es einem zu leicht gemacht, Dinge zu tun, für die man sich schlecht fühlt.

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